Nach ihrem Master-Abschluss in Psychology & Management 2018 begleitet Anina Senftleben heute das konzernweite Lernen bei Evonik. Als Global Learning Expert ist es ihre Aufgabe, das Lernen im beruflichen Kontext und die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden auf die neuen Anforderungen der Arbeitswelt auszurichten. Wir haben bei ihr nachgefragt, wie das Lernen der Zukunft aussieht, wie Corporate Learning bei Evonik funktioniert und welche Lern-Skills für Mitarbeiter*innen in Zukunft von Bedeutung sind.
Anina, die Anforderungen an und von Mitarbeiter*innen haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Wie nehmt ihr dies bei Evonik wahr und wie reagiert ihr darauf?
Ein Hauptaspekt, der mir hierzu direkt in den Sinn kommt, ist „Content is King“ in Kombination mit der Erwartungshaltung, das Gesuchte unmittelbar abrufen zu können: sind die Inhalte, die man aufgrund einer aktuellen Fragestellung sucht, im „moment of learning need“ nicht abrufbar oder im Ansatz ansprechend gestaltet, werden wir weder der Belegschaft noch unserer Lernstrategie gerecht: die Steigerung der Performance sowie die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden zu ermöglichen. Kommt man etwa während der Arbeit mit einer Software nicht weiter und muss erst lange nach einer Erklärung suchen oder gar auf einen Schulungstermin warten, kann sich das negativ auf die Produktivität auswirken. Dementsprechend arbeiten wir daran, den Mitarbeitenden den Zugang zu potenziell hilfreichen Inhalten zu erleichtern und sie zum selbstgesteuerten Lernen zu ermutigen bzw. hierbei zu unterstützen.
Im Bereich unserer learning experience platform erhalten wir von den Mitarbeitenden aus erster Hand Feedback, indem sie Ressourcen wie Videos und lesbare Dokumente bewerten oder im Rahmen von Learning Journeys den Lernbegleitern Feedback geben, beziehungsweise dies in der Plattform festhalten.
Ebenso sind die Mitarbeitenden es gewohnt, sich über Netzwerke auszutauschen. Die Bedeutung und den Stellenwert des informellen und abteilungs- sowie hierarchieübergreifenden Austausches erleben wir täglich in Projekten, Initiativen wie Barcamps oder in der Anwendung agiler Herangehensweisen. Im Konzern wird diese Form des (Wissens-) Austausches zusätzlich durch das Enterprise Social Network, in dem sich zu diversen Themen Gruppen und Netzwerke bilden, gefördert. Darüber hinaus ist die Evonik Lernstunde ein großartiges Beispiel. Ein- bis zweimal pro Woche informieren Mitarbeitende die Belegschaft mittels Live Session über ihre aktuellen Themen, Fachgebiete, umfangreichen Projekte oder auch allgemeinen Themen aus dem Berufsalltag.
Durch schulische, berufliche, universitäre und andere formelle Bildungswege verlernen wir, wie im besonders lernstarken Kindesalter, ´einfach mal auszuprobieren` und verlassen uns auf einen vorgegebenen Lehrplan.
Anina Senftleben, Global Learning Expert bei Evonik
Worauf kommt es zukünftig bei Mitarbeiter*innen an? Welche Lern-Skills werden notwendig?
Diese Frage möchte ich ungern zu spezifisch beantworten - dafür ist die Arbeitswelt einfach zu dynamisch und vielseitig. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass der Wille und die Fähigkeit, stetig weiterlernen zu wollen, eine der Schlüsselfähigkeiten sein wird - unabhängig von Fachbereich, beruflicher Ambition oder Tätigkeit.
Durch schulische, berufliche, universitäre und andere formelle Bildungswege verlernen wir, wie im besonders lernstarken Kindesalter, ´einfach mal auszuprobieren` und verlassen uns auf einen vorgegebenen Lehrplan. Vereinfacht bedeutet das als Pendant im Bereich Corporate Learning, dass man z. B. auf einen Platz im nächsten Termin eines vierstündigen Seminars zum Thema Feedback-Techniken warten würde, anstatt sich hilfreiche Inhalte und Input selbst rauszusuchen und anzueignen. Kurzum, wir wollen die Mitarbeitenden dabei unterstützen, das Lernen wieder zu lernen bzw. „umzulernen“. Es wird nicht darum gehen, dass Mitarbeitende zukünftig keine Lern- und Entwicklungsmaßnahmen mehr erhalten werden, sondern darum, dass sie erst einmal selbst tätig werden und so im bereits erwähnten „moment of learning need“ handlungsfähig bleiben. Im Umkehrschluss bleibt so mehr Zeit und Budget für komplexere Entwicklungsthemen oder thematische Vertiefungen verfügbar. Intern sprechen wir hierzu mit Blick auf das Growth Mindset und dem Bewusstsein, dass wir nie ausgelernt haben werden vom lifelong learning. Darüber hinaus sehe ich im „gesunden“ Umgang mit Veränderung und Ungewissheit eine äußerst relevante Fähigkeit. Mit gesund meine ich an dieser Stelle, dass man z. B. in Veränderung letztendlich eine Chance und nicht die Bedrohung der vertrauten Komfortzone sieht.
Wie funktioniert erfolgreiches Lernen deiner Meinung nach in der heutigen Zeit?
Meiner Einschätzung und auch Erfahrung nach kann heute insbesondere im beruflichen Kontext dann erfolgreich gelernt werden, wenn eine konkrete Fragestellung vorliegt, man sich also nicht „auf Vorrat“ und ohne konkreten Anlass einer Thematik nähert. Dies meint nicht, dass ausschließlich im „moment of learning need“ mit kurzen Videos erfolgreich gelernt werden kann. Vielmehr wird hier die Brücke zur direkten Anwendung und Übertragung des Gelernten in die Praxis gebaut. Die direkte Anwendung des Gelernten beugt dem Vergessen vor, welches ansonsten eintreten würde.
Welche Tipps würdest du ISM-Studierenden in Bezug auf Lernmethoden und -erfolge mit auf den Weg geben?
Mein Tipp fungiert gleichzeitig als Disclaimer: jede*r lernt anders und ganz individuell. Von daher kann ich empfehlen, den eigenen Lerntyp kennen und nutzen zu lernen. Fällt es einem z. B. leichter, neue Informationen aufzunehmen, indem man visuelle Hilfsmittel verwendet oder sind doch verbale Formate hilfreicher? So sehr ich dazu ermutigen möchte, verschiedene Lernmethoden und -mittel auszuprobieren, würde ich jedoch nicht empfehlen, dies kurz vor der Prüfungsphase anzugehen. Ich mutmaße jetzt, dass ein großer Anteil des Lernens für Prüfungen eher zum Ende des Semesters passieren wird und somit etwas weniger Zeit für das große Ausprobieren verschiedener Lernstile bleibt. In diesem Fall würde ich dazu raten, zu einem Großteil wie gehabt zu lernen und lediglich bei unkritischen oder weniger umfangreichen Themen neue Herangehensweisen auszuprobieren.
Neugierig aufs Lernen? Das Kienbaum Institut @ ISM forscht und publiziert zu den Themen Leadership und Transformation im Kontext der Digitalisierung. Das Forschungsinstitut bietet regelmäßig Events und Weiterbildungen an und hat in der „Future Skills – Future Learning Studie“ zusammengestellt, welche Kompetenzen zukünftig entscheidend sind und wie sich Corporate Learning in Unternehmen in Deutschland gestaltet.
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